LaKo Sa Workshops 22

Mit der niedersächsischen Landeskonferenz zu Politik und Engagement für globale Gerechtigkeit am 4. und 5.11. wurden zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Fragen gestellt und dazu Diskussions- und Austauschmöglichkeiten geboten. Rund 100 Menschen aus zivilgesellschaftlichen Initiativen und Organisationen, die sich mit Themen der globalen Gerechtigkeit in Niedersachsen beschäftigen, waren dazu in die Räumlichkeiten der VHS Hannover gekommen.

Wie kann globale Zusammenarbeit reflektiert und gerecht gestaltet werden? Welche Änderungen sind jetzt notwendig, um gesellschaftliche Diskurse und politische Maßnahmen hin zu einem sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Leben auszurichten? Und wie lässt sich das zivilgesellschaftliche Engagement für globale Gerechtigkeit stärken?

 

von Julia Wältring, Eine Welt-Fachpromotorin für Globales Lernen beim VEN

Mit dem Vortrag von Prof. Dr. Aram Ziai lag der Fokus am Freitagabend auf einer machtkritischen Analyse des Entwicklungsbegriffs und der daraus resultierenden Entwicklungspolitik. Hier wurde schnell klar, dass das seit 70 Jahren anhaltende Entwicklungsversprechen an Länder des Globalen Südens sich nicht erfüllt hat. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und (neo)koloniale Ausbeutungsstrukturen wurden vielmehr gar nicht aufgelöst. Ziai betonte, dass der Entwicklungsbegriff, verstanden als linearer Reifeprozess zur Erreichung eines Idealzustands, die Kolonialisierung und deren bis in die aktuelle Zeit reichenden Folgen außer Acht lässt. Zudem sei er stark von einer eurozentristischen Sicht auf die Welt geprägt, durch die Länder des Globalen Südens mit einem Defizitblick betrachtet werden. Auch die Ausrichtung nach vom Globalen Norden bestimmten Indikatoren, wie z. B. dem Bruttoinlandsprodukt, lassen wenig bis gar keinen Spielraum für alternative Modelle und eigene Ideen zur Gestaltung von Gesellschaften. Mit der These, dass auch die SDGs keine grundlegende Neuerung im Verständnis seien und es letztendlich keine alternative Entwicklung brauche, sondern Alternativen zu Entwicklung schloss Ziai seinen kritischen Beitrag. 

War das ein Dämpfer für Politik und zivilgesellschaftliche Engagement zur Umsetzung der SDGs? Oder längst fällige Wahrheiten, mit denen es nun dringend umzugehen galt?

Da waren sich auch die Gäste des sich anschließenden Podiums nicht ganz einig. Wurde zum einen von partnerschaftlicher Zusammenarbeit auf Augenhöhe und machtkritischen Reflexionen berichtet, gab es zum anderen Kritik an der viel zitierten Augenhöhe: Die sei in einer so dramatisch ungleichen und rassistisch geprägten Welt nicht möglich. Gab es zum einen Berichte von Delegationsreisen politischer Vertreter*innen in Länder des Globalen Südens und damit einhergehende Dialoge um Partizipation und Teilhabe, gab es zum anderen Fragen nach der Grundlage von Partizipation: Wer entscheidet darüber, wer woran wie mitbestimmen darf? Damit wurde nicht nur die globale Ebene angesprochen, sondern auch der Blick auf die Lage in Niedersachsen gerichtet. Globale Zusammenarbeit ist ohne die Expertise und das Engagement (post-)migrantischer Initiativen und Vereine gar nicht denkbar, und doch ist der (bürokratische) Zugang zu den für Ehrenamt notwendigen Ressourcen für diese Engagierten oft erschwert.

Mut machte der Ansatz der Academie Bilimon in Togo, junge Menschen zu befähigen, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, mit allen Konsequenzen für die Gemeinschaft und die Gesellschaft. Ein Ansatz für mündige Bürgerschaft, der nachahmenswert ist.

Hoch interessant waren auch die Erkenntnisse einer Studie, die vom Eine Welt Netz NRW durchgeführt und bei der Landeskonferenz vorgestellt wurde. Es ging um nicht weniger als die Zukunft des Eine Welt Engagements, für das mithilfe einer umfangreichen Abfrage Herausforderungen und Zukunftspotentiale erhoben wurden.

Die bemerkenswerten Schlussfolgerungen aus der NRW-Studie ließen sich vermutlich auch auf Niedersachsen übertragen: Es gibt zahlreiche Menschen, die sich für globale Gerechtigkeit in all ihren Unterthemen und Felder engagieren möchten. Und gleichzeitig gibt es einen großen Generationswechsel in der Szene, der Strukturen infrage stellt, nach neuen Wegen des Engagements fragt und Dialoge notwendig macht. 

Im Anschluss an diesen Vortrag bot ein weiteres Podium mit verschiedenen Diskutant*innen eine rege und kritische Debatte zur Zukunft des Engagements für globale Gerechtigkeit. Manche Baustellen im zivilgesellschaftlichen Engagement in Niedersachsen wurden dadurch sichtbar, wie auch das Potential eines mutigen und überzeugten Engagements für eine sozial gerechte Welt. Auch Zuhörer*innen hatten wieder die Möglichkeit, an der Diskussion teilzunehmen.

Eine gute Vertiefung für die kritische Auseinandersetzung boten die zwei Workshopssessions zu einer Vielzahl an Inhalten: Dekoloniale Bildungsarbeit, generationenübergreifendes Engagement z.B. in Weltläden, Menschenrechtsarbeit, kritisches Weißsein, globale partnerschaftliche Zusammenarbeit, Friedensarbeit in Zeiten der Kriegslogik, Ernährung und Landwirtschaft im Sinne der SDGs und Niedersachen als sicherer Hafen waren nur einige der Themen in den 10 Workshops. 

Nicht zuletzt präsentierte sich der VEN auch als kritischer Begleiter der Politik in Niedersachsen. In Podien, Workshops und Gesprächen auf der Konferenz wurde insbesondere die Chancen und Herausforderungen diskutiert, die aus der neuen Landesregierung und ihrer Politik in den nächsten vier Jahren resultieren.

Da häufig zwei Referent*innen verschiedener Organisationen für ein gemeinsames Angebot zusammenarbeiteten, hatten schon in der Workshopvorbereitung unterschiedliche Erfahrungen und Ansätze Platz, die zu den anregenden Gesprächen und einem effizientem Praxistransfer für und mit den Teilnehmer*innen der jeweiligen Workshops beitrugen. 

Buffet, Ausstellungen und Wandzeitungen im Flur luden zu Austausch untereinander ein, so dass die Vernetzung von Referent*innen, Podiumsgästen und Teilnehmer*innen untereinander rege und gelungen war.

Der VEN war mit dem fachlichen Input, den kritischen Debatten und dem praktischen Austausch sozusagen „am Zahn der Zeit“. Die Landeskonferenz hat Mut gemacht, die bestehenden Herausforderungen anzunehmen und an der Vision einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Welt dranzubleiben. Allerdings müssen dafür vielleicht noch ungewohnte Wege genommen und neue Kooperationen eingegangen werden. Diese will der VEN auch in 2023 aktiv suchen, z. B. mit einer Debatte um einen neuen Namen und mehr Kooperationen und Angeboten mit und für (post-)migrantische Akteure.

 

 

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