Der VEN fordert die niedersächsische Landesregierung auf, ihre Vorhaben bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit umzusetzen. Dafür nötig ist eine multiperspektivische und kolonialismuskritische Erinnerungs- und Bildungspolitik in Niedersachsen. Mit diesem Ziel haben wir einen offenen Brief an die Kultusministerin und die Landtagsfraktionen der SPD und der Grünen verfasst. Hier geht es zu unsere Forderungen im Detail. Offener Brief zum Download
Für eine multiperspektivische und kolonialismuskritische Erinnerungs- und Bildungspolitik in Niedersachsen
Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag und der KMK 2014 umsetzen!
Die Kolonialzeit hat globale Machtverhältnisse, wirtschaftliche Ungleichheiten und ökologische Probleme nachhaltig geprägt und rassistische Strukturen geschaffen, die bis heute in Kultur, Bildung und Forschung fortwirken. Sie hat nicht nur unser Verständnis von Identität und Zugehörigkeit geprägt, sondern auch traditionelle Wissensformen und Sprachen verdrängt und dadurch kulturelle Vielfalt und soziale Verbindungen geschwächt. Allerdings: das Bewusstsein für diese kolonialen Kontinuitäten ist in Niedersachsen oft gering. Hier liegt die Verantwortung auch in der schulischen und außerschulischen Bildung die hier einen zentralen Beitrag leisten muss. Dabei braucht es insbesondere eine Aufwertung und Stärkung der Aktivitäten und Perspektiven zivilgesellschaftlicher und insbesondere (post-)migrantischer Initiativen, die sich seit Jahrzehnten mit der kolonialen Aufarbeitung beschäftigen.
Es fehlt an einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Perspektiven derjenigen, die bis heute unter den Auswirkungen kolonialer Kontinuitäten leiden. Bildungseinrichtungen, Gedenkstätten, sowie alle Akteur:innen in der politischen Bildung sollten hier ein komplexeres und gerechteres Geschichtsverständnis fördern.
Die UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft (2024–2035) unterstreicht die dringende Notwendigkeit, das koloniale Erbe aufzuarbeiten und gleichzeitig globale Perspektiven und internationale Zusammenarbeit zu stärken. Niedersachsen hat die Chance, durch eine aktive Beteiligung an dieser Dekade, eine Vorreiterrolle in der Aufarbeitung der eigenen kolonialen Geschichte und die daraus erwachsene Verantwortung einzunehmen. Dies erfordert konkrete Maßnahmen und einen langfristigen politischen Willen.
Die Erinnerungspolitik steht vor der Herausforderung, eurozentrische und kolonial geprägte Perspektiven aufzubrechen. Es geht darum, Erinnerungsräume zu dekolonisieren und die Stimmen aller Gesellschaftsgruppen – insbesondere der postmigrantischen Gemeinschaften – einzubinden. Symbolische Ehrungen kolonialer Akteur:innen müssen hinterfragt werden und ein Umgang mit diesen, in einem Dialog mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, insbesondere aus dem migrantisch diasporischen Engagement erarbeitet werden.
Die Kultusministerkonferenz (KMK) hat bereits 2014 die Bedeutung eines „kultursensiblen und multiperspektivischen Erinnerns“ betont. Angesichts der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft sollte das Land diese Chance nutzen, um globale und kolonialkritische Perspektiven in die Bildungs- und Erinnerungsarbeit zu integrieren.
Der Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung 2022–2027 erkennt die Bedeutung der Aufarbeitung des kolonialen Erbes an. Er fordert die Verbindung von Provenienzforschung und Bildungsarbeit, die Reform von Schulmaterialien und Lehrplänen sowie eine stärkere Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur:innen. Diese Zielsetzungen müssen durch konkrete Maßnahmen realisiert werden:
Unsere Forderungen:
- Erinnerungskultur diversifizieren
- Förderung einer pluralen und diversifizierten Gedenkstättenlandschaft d.h. neuer dekolonialer Denkmäler, interaktiver Ausstellungen, außerschulischer Lernorte und digitaler Plattformen, die eine breite Öffentlichkeit erreichen.
- Weiterentwicklung bestehender Programme wie dem Netzwerk Provenienzforschung und dem Forschungsprojekt PAESE durch verstärkte Zusammenarbeit mit postmigrantischen Initiativen.
- Einführung eines strukturierten Prozesses zur Umbenennung kolonial geprägter Straßennamen und Gedenkorte.
- Schulmaterialien und Lehrpläne reformieren
- Wir fordern die Überarbeitung der Lehrpläne in den Fächern Geschichte, Politik, Wirtschaft und Geographie, damit Kolonialismus, Rassismus und ihre Kontinuitäten als zentrale Themen verankert werden. Zusätzlich fordern wir, dass in allen Schulfächern – von Kunst bis Naturwissenschaften – Repräsentanz und multiperspektivische Bildung gestärkt werden. Es geht darum, kritisch zu hinterfragen, welches Wissen vermittelt wird und wer in Lehrmaterialien sichtbar gemacht wird.
- Entwicklung von multiperspektivischen Schulmaterialien in Zusammenarbeit mit BiPOC-Initiativen und internationalen Expert*innen.
- Verankerung von kolonialkritischen Perspektiven in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften.
- Stärkung der politischen Bildung, insbesondere zu Themen wie Rassismus, Kolonialismus und demokratischer Teilhabe – auch für Erwachsene.
- Zivilgesellschaftliche Akteur:innen stärken
- Institutionelle Förderung von postmigrantischen und antirassistischen Initiativen, die Bildungs- und Erinnerungsarbeit leisten.
- Einrichtung von Programmen, die lokale Projekte in Zusammenarbeit mit Schulen und Museen unterstützen.
- Unterstützung von interkulturellen Dialogen, die globale Perspektiven und die Erfahrungen von Menschen afrikanischer Herkunft einbinden
- Provenienzforschung und Bildungsarbeit verbinden
- Aufbau einer zentralen Koordinierungsstelle in zivilgesellschaftlicher Trägerschaft, die Provenienzforschung, Bildungsarbeit und Restitutionsprozesse miteinander verknüpft.
- Entwicklung von Dialogformaten, die Menschen aus den Herkunftsgesellschaften aktiv einbinden und Ergebnisse der Provenienzforschung zugänglich machen.
- Einrichtung eines dekolonialen Fonds, um die Rückgabe von Kulturgütern und die Entwicklung neuer Bildungsprojekte zu fördern.