Masoud und Masoumeh Komijani, Iran. Wohnort heute: Harz
Wir glauben euch den Glauben nicht
Das Ehepaar Komijani will lieber christlich leben und glauben – das bringt sie im Iran in Lebensgefahr. Sie fliehen nach Deutschland. Doch hier droht ihnen die Abschiebung – auch, weil sie beim Termin bei den zuständigen Behörden kein christliches Symbol tragen.
Masoud Komijani nimmt eine Orange vom Obstteller auf dem Couchtisch. Er reicht sie dem Besucher und bittet diesen, daran zu ziehen. Er selbst zieht in die andere Richtung. Das spielerische Ringen um die Orange dauert einige Sekunden. Dann fragt Masoud: „Können Sie sich noch auf den großen Haufen Obst konzentrieren? Nein, Sie sind abgelenkt.“ Es ist sein Bild für die iranische Gesellschaft. Das Regime lenke die Menschen ab, mit abstrusen Verboten, mit harten Strafen für Konvertiten, mit allem. Die Menschen hungern, sterben, leiden – und das Regime und seine Unterstützer stecken sich die Taschen voll.
Das Ehepaar Komijani lebte gemeinsam in Teheran. „Viele Autos, schlechte Luft und ein nicht so gutes Regime“, so beschreibt es Masoud Komijani mit einem Schmunzeln. Der Vorort von Goslar, wo sie heute leben, der ist wohl so ziemlich das Gegenteil von Teheran. Anfangs war es nicht leicht für das Paar, aber die Ruhe hier war dann doch auch gut, um den Stress, und die Angst langsam abzustreifen und sich dem Kummer, aber auch der Zukunft zu stellen. Und doch bleiben Restzweifel. Masoumehs Cousin ist ein wichtiger Mullah im Iran, auch deswegen kennt niemand aus der Familie ihre Adresse. Denn sie sind aus dem Land geflüchtet.
Sie suchen nach Gott - das bringt sie in Lebensgefahr
Masoud Komijani hat in Teheran als Kupferschweißer gearbeitet, seine Frau Masoumeh ist Psychologin und hat im Iran in einem Altenheim als Sozialarbeiterin gearbeitet. Vom Islam hat sie sich, genau wie ihr Mann, schon lange entfernt. Und in einem Land, in dem so vieles vorgeblich aus religiösen Gründen verboten ist, da wird die Staatsreligion für freiheitsliebende Menschen nicht attraktiver. In dem Heim versucht sie, trotz des Mangels und des Leids, Freude in das Leben der Menschen zu bringen. Mit einem Bewohner ist der Austausch besonders eng. Ein 84-jähriger Mann, der einzige Christ, wird von den anderen geschnitten, lebt in einem Einzelzimmer, leidet unter Depressionen. Er erzählt der Halt suchenden Frau Geschichten aus der Bibel und über das christliche Verständnis von Nächstenliebe und Ewigkeit. Zuhause durchforstet sie den Koran, liest ihn sechs Mal und will wissen: Was ist die Wahrheit? „Wir haben nach Gott gesucht und sind dabei Christen geworden“, sagt Masoumeh über den Prozess, der mehr als ein Jahr dauerte. Es sei keine bewusste Entscheidung gewesen.
Es gibt Christen im Iran, die dort auch ihre Religion leben können, die größte Gruppe bilden Armenier. Es gibt sogar ein paar Hundert christliche Kirchen. Wer aber im Iran als Moslem zum Christentum konvertieren will, geht ein hohes Risiko ein. Bei Apostasie, dem Abfall vom Glauben, droht die Todesstrafe.
Masoud und Masoumeh suchen Gemeinschaft, sie wollen sich austauschen über den Glauben. Langsam öffnen sich die beiden bei Teilen ihrer Familie, manche schließen sich an. Zum Beten und zum Sprechen über die Bibel und das christliche Leben treffen sie sich im Haus der Komijanis. Weil sich Masoumeh im Altenheim so für den alten Christen einsetzt, ihn auch zur Kirche fährt, beäugt man sie kritisch. Und auch, weil sie, wie sie sagt, anständig ist und manche Mitarbeiter dort eben nicht, will man sie loswerden. Im Sommer 2015 kommt der iranische Sicherheitsdienst und nimmt den alten Mann mit. Als Masoud und Masoumeh am nächsten Morgen bei einem Arzt warten, klingelt Masouds Handy. Der Vater warnt sie, der Sicherheitsdienst war auch bei ihnen.
Als die Polizei in die Wohnung des Ehepaars Komijani eindringt, finden sie die Kette mit dem Kreuz, ein Geschenk des 84-Jährigen an Masoumeh; und sie finden ihren Laptop, auf dem der Abfall vom Glauben nachzulesen ist. Die beiden fliehen zu Verwandten, bei denen man sie nicht vermuten wird. Findet man sie, wird es schlimm. „Foltern, schlagen, aufhängen“, sagt Masoud trocken. Legal kommen sie jetzt nicht mehr aus dem Iran. Sie bezahlen einen Schlepper, 10.000 Euro sofort, 10.000 wenn sie in Sicherheit sind. Die Frau besticht das Personal am Flughafen. So kommen sie irgendwie in ein Flugzeug, das sie in die Türkei bringt, und fliegen von dort nach Stuttgart. Sie beantragen Asyl, kommen ins Auffanglager Bad Fallingbostel. Die beiden können durchatmen. Masoumeh sagt: „Ich dachte, ich muss gestorben sein, und das hier ist das Paradies, so friedlich war es.“ Schließlich kommen sie nach Goslar.
Die Rolle des sogenannten Westens im Iran ist schwierig. Der Iran sitzt auf einem der weltweit größten Vorkommen von Gas und Öl.
Die Geschichte der Einmischung ist lang. 1953 halfen Geheimdienste aus den USA und Großbritannien bei einem Putsch gegen den demokratisch legitimierten Premier Mohammad Mossadegh. Unter der Führung des Schahs Mohammad Zeza Pahlavi war der westliche Zugang zu billigem Öl sicher, doch unter dem willigen Despoten gewannen fundamentale religiöse Kräfte an Stärke. Das mündete in der Revolution von 1979. Die Sanktionen der vergangenen Jahrzehnte treffen, so berichten es Hilfsorganisationen, hauptsächlich die Zivilbevölkerung.
Sie leben im Jetzt, doch das gestern lebt in Teheran weiter
Auf dem Sofa steht ein Kissen mit einem Hasen, der dort, fast in Lebensgröße, aus großen Augen schaut. Masoud hatte einen solchen Hasen in Teheran, dazu einen Leguan, von Kopf bis Schwanzspitze 1,20 Meter lang, einen Husky – ein kleiner Zoo. Aber was heißt hier hatte, die Tiere leben noch, sie leben bei seinen Eltern, sie sind Sinnbild für gestern und heute, das das Leben des Ehepaars bestimmt. Masoud Komijani wischt sich Tränen aus den Augen.
Dass der Glauben echt ist, das sehe man doch schon an seiner Frau, sagt Masoud. Die finde trotz aller Schmerzen und schlechter Gedanken immer noch Kraft, sich um andere zu kümmern. Sie hilft iranischen Familien, macht Lachyoga-Kurse, engagiert sich bei der Aidshilfe.
Masoud Komijani steht während des Gesprächs immer wieder vom Sofa auf, entschuldigt sich, hält die Hände hinter dem Rücken und streckt diesen durch. Der Rücken ist kaputt. Viermal sperrte man ihn ins Gefängnis, weil er die Ney Anban spielte, eine persische Variante des Dudelsacks. Weil man dazu tanzen kann, ist es verboten. In der Wache schlugen ihn die Polizisten so heftig auf den Rücken, dass das Rückgrat Schaden genommen hat.
Es plagt Masoumeh Komijani, dass sie sich nicht mehr um die Menschen in dem Altenheim kümmern kann. Da gibt es einen Mann, der mit 29 Jahren ins Heim gekommen ist. Die Polizei hat ihn so hart geschlagen, dass er gelähmt ist. Heute ist er 42, ist auf einen speziellen Rollstuhl angewiesen. Als der neulich kaputt ging, bekam er keinen neuen, konnte nur noch im Bett bleiben. Aus Goslar organisierte Masoumeh Komijani einen neuen Rollstuhl für den Mann. Der alte Mann, der die beiden so nah an den christlichen Glauben führte, starb zwei Tage, nachdem ihn die Polizei abholte, an einem Herzinfarkt – so die offizielle Todesursache. Die Komijanis glauben es nicht.
Sie wissen nicht, ob sie jemals in ihre Heimat zurückkehren können
Masoumeh Komijani atmet immer öfter laut aus, umso länger das Gespräch dauert, umso mehr es sich um den Punkt dreht, dass es nicht absehbar ist, ob sie jemals wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Als die Frage kommt, was sie denn am meisten vermisse von der Heimat, da kommen der jungen Nirvana, die das Gespräch übersetzt, die Tränen. Sie ist ebenfalls als Christin aus dem Iran geflohen, und alle drei wissen, dass sie so bald nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Heimweh kann selbst dann schlimm sein, wenn die Rückkehr absehbar ist. Für die drei auf dem weißen Sofa muss es kaum erträglich sein
Sie haben viel Kontakt in die alte Heimat. Das ist schön, aber das ist auch schlimm. Masoud zeigt auf dem Smartphone ein Foto eines Bekannten. Der liegt auf dem Bauch, nur mit Unterhose bekleidet. Auf dem oberen Rücken und auf den hinteren Oberschenkeln sieht man Wunden, Striemen, Blutergüsse, Hautrisse. Sie stammen von Peitschenhieben, eine Strafe für das Demonstrieren gegen das Regime.
Am 17. Juni 2017 wurden die beiden in Goslar getauft. Ein Foto in der prächtigen Kirche zeigt sie mit dem Pfarrer und dessen Frau, alle sind festlich gekleidet, lächeln, auch ein wenig stolz. Das Foto zeugt vom Ankommen in der evangelischen Kirche, vom Aufgenommenwerden in der Kirchengemeinde.
Der deutsche Staat überprüft den Glauben
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat die Asylanträge des Ehepaars abgelehnt, die Behörde glaubt ihnen den Glauben nicht. Die beiden haben Widerspruch eingelegt. Die BAMF-Mitarbeiter bewerten dabei den Glauben der Antragsteller und die möglichen Folgen bei einer Rückkehr. Hans-Jörg Voigt, Bischof der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), nennt diese Praxis einen Verfassungsbruch: „Der Staat hat nicht das Recht, über den persönlichen Glauben von Christen und erst recht nicht über Glaubensinhalte Entscheidungen zu treffen.“ Der Sachbearbeiter fragte Masoumeh, warum sie denn kein Kreuz trage. Sein Neffe trage immer einen Fußball mit sich rum, darum wisse er, dass er ein Fußballer ist. Masoud schüttelt den Kopf, als er die Geschichte erzählt, immer noch fassungslos. Das Christsein, das erkenne man doch im Herzen und in den Taten eines Menschen, nicht an einer Halskette.
Text: Gerd Schild
Grafik: Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V.