Antonio AndrioliIch heiße Antônio Inácio Andrioli und habe von 2001 bis 2006 mit einem Stipendium von Brot für die Welt an der Universität Osnabrück zum Thema Soja promoviert. Nach meiner Rückkehr war ich zunächst Dozent an der Unijuí im Süden Brasiliens und ab 2009 an der Gründung der Universidade Federal da Fronteira Sul (UFFS) beteiligt.

Von 2011 bis 2017 war ich Mitglied der brasilianischen Biosicherheitskommission CTNBio, die für die Zulassung und technische Bewertung gentechnisch veränderter Organismen in Brasilien zuständig ist. Als Direktor und Vizepräsident der UFFS war ich für den Aufbau von sechs weiteren Standorten, der auf Agrarökologie spezialisierten Hochschule im Süden Brasiliens, verantwortlich. Ich glaube fest daran, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung entscheidend sein kann. Wissen verbessert die Lebensqualität der Menschen und wird immer wichtiger, um die Umwelt zu schützen und eine enkeltaugliche Gesellschaft zu schaffen.

Wie kamen Sie dazu sich mit dem Thema Soja auseinanderzusetzen?

Ich bin als Bauernsohn im Süden Brasiliens an der Grenze zu Argentinien geboren, wo die kommerzielle Sojaproduktion in Lateinamerika ihren Anfang nahm. Mein Vater war Sojabauer und ich habe die Probleme der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in meiner Kindheit und Jugend selbst miterlebt. Nach meiner Ausbildung zum Agrartechniker war ich als landwirtschaftlicher Berater ständig mit der Problematik der Agro-Gentechnik und dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln konfrontiert.

Welche sozialen und ökologischen Auswirkungen hat der Sojaexport in Brasilien?

Soja ist eine wunderbare Pflanze, die meiner Meinung nach viel mehr für die Ernährung genutzt werden könnte. Das Problem ist aber die Art und Weise, wie sie bei uns angebaut wird: in Monokulturen unter Einsatz von Gentechnik und sehr vielen Pestiziden. Soja wird insbesondere für den Agrarexport (u.a. nach China und Europa) angebaut und zu 90 Prozent als Futtermittel für die Massentierhaltung und als Öl für die Biodieselproduktion verwendet. Da es sich um die billigste Form von pflanzlichem Eiweiß handelt und jährlich mehr davon produziert wird, ist seine Ausbreitung auch mit der Entwaldung im Amazonas und in den Savannen Brasiliens, mit der Zerstörung und Auslaugung von Böden und mit der zunehmenden Erosion sowie der Kontamination von Wasser verbunden. Zudem geht der Anbau mit Sklaven- und Kinderarbeit einher. Da immer mehr Land für die Ausweitung der Soja-Monokultur benötigt wird, nehmen Landkonflikte zu. So wird Land, das ursprünglich Urwald oder Savanne war oder als Lebensgrundlage von indigenen Völkern oder Kleinbäuer:innen diente, zunehmend für den Sojaanbau genutzt. Indigene Völker, die jahrhundertelang von diesem Land lebten und Nahrungsmittel für ihre Familien produzierten, werden vertrieben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die zunehmende Landkonzentration, die durch die Ausweitung des Sojaanbaus entsteht, zu mehr Landflucht, Ungleichheit, Armut und Hunger auf dem Land führt. Genau dort, wo eigentlich Nahrungsmittel produziert werden sollen.

Welchen Einfluss hat die EU auf den Sojaanbau in Brasilien?

Nach dem BSE-Skandal gewannen Sojaimporte weltweit an Bedeutung, da Sojaschrot einen geeigneten Ersatz für das inzwischen verbotene Tiermehl darstellte. Dies erklärt das riesige Potential zur Ausbreitung der Sojaproduktion in Brasilien. So werden zunehmend Flächen außerhalb Europas in Anspruch genommen, nur um den Bedarf an Soja für die Massentierhaltung zu decken. Nach Angaben der Europäischen Kommission importierte die EU in 2023 36 Millionen Tonnen Soja, wovon 90 Prozent als Futtermittel für die Tierhaltung verwendet wurden.

Wie können die negativen Auswirkungen reduziert werden?

In Brasilien gibt es eine gut organisierte Bewegung von Kleinbäuer:innen, Indigenen und Landlosen, die sich insbesondere für regionale Produktion und Agrarökologie einsetzen. Eine Abkehr von der auf Agrarexporten basierenden industriellen Landwirtschaft ist notwendig. Europa könnte dazu einen Beitrag leisten, indem z.B. die Tierhaltung so weit wie möglich auf Weidehaltung umgestellt wird und Futtermittel durch andere Pflanzen wie Lupinen, Ackerbohnen, Luzerne etc. ersetzt werden. Eine sozial gerechte und ökologische EU-Agrarreform könnte sich an der Förderung kleinbäuerlicher Betriebe, am Insekten- und Klimaschutz orientieren. Regierungen müssen mehr Initiative ergreifen, denn sie verfügen über Steuerinstrumente, um die Bäuer:innen zu unterstützen, besonders in der Übergangszeit zu einer nachhaltigeren Produktion. Eine Option wäre zudem, die Lebensmittel für Kantinen direkt von lokalen Bäuer:innen oder Kooperativen zu kaufen, anstatt von großen Agrarkonzernen.

Was konnte Ihre Arbeit bislang bewirken?

Ich werde mich auf ein Ereignis konzentrieren, das für mich das Größte ist: Ich hatte die Chance, am Aufbau einer neuen Universität mitzuwirken. Die Universidade Federal da Fronteira Sul (UFFS) ist aus dem Kampf sozialer Bewegungen wie La Via Campesina entstanden. Die Universität wurde in der Region mit der größten bäuerlichen Landwirtschaft gegründet. Ihre Studierenden sind überwiegend Töchter und Söhne aus der Region. Zu den Schwerpunkten in Lehre, Forschung und Weiterbildung gehören Themen wie Agrarökologie, Ernährungssouveränität, erneuerbare Energien, Solidarwirtschaft, öffentliches Gesundheitswesen und ländliche Bildung. So kann die Universität die Bauern vor Ort bei der Wissensentwicklung unterstützen. Zusammengefasst könnte man sagen, dass die UFFS die erste staatliche Bauernuniversität der Welt ist.

Was würden Sie sich von der EU wünschen?

Erstens wünsche ich mir ein Exportverbot für Pestizide, die in der EU nicht zugelassen sind. Derzeit setzt Bayer in Brasilien 12 und BASF 13 Wirkstoffe ein, die in Deutschland nicht zugelassen sind. Zweitens wäre mir wichtig, dass die Gentechnik auf EU-Ebene nicht flexibilisiert wird. Das Schlupfloch, dass Tierprodukte, bei denen brasilianisches Gensoja verfüttert wurde, nicht gekennzeichnet werden müssen, sollte geschlossen werden. Drittens wünsche ich mir, dass das EU-Mercosur-Abkommen nicht ratifiziert wird. Und viertens ein Importverbot für Soja aus Brasilien, solange es mit Pestiziden belastet ist und Menschenrechtsverletzungen sowie Umweltzerstörung fördert.

Das Interview wurde am 28.06.2024 durchgeführt.

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