Vertreter*innen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) schätzen, dass 40 Prozent aller globalen Konflikte in den letzten 60 Jahren mit dem Abbau von Rohstoffen in Verbindung stehen.1 Im Jahr 2016 wurden nach Angaben der britischen NGO Global Witness 200 Umweltaktivist*innen in 24 Ländern aufgrund ihrer Arbeit umgebracht. Viele von ihnen hatten sich gegen die Ausbeutung von Rohstoffen gewehrt. Unter den Ermordeten sind zunehmend Mitglieder indigener Gemeinschaften. Besonders betroffen waren Aktivist*innen in den Ländern Brasilien (49 dokumentierte Opfer), Kolumbien (37) und den Philippinen (28).2
Die Max-Planck-Stiftung hat im Auftrag der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) die menschenrechtlichen Risiken des Bergbaus untersucht und fand eine Vielzahl an Rechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in den verschiedenen Stadien des Bergbaus: Lizenzvergabe, Exploration, Errichtung, Betrieb sowie Schließung der Mine. Die Rechtsverletzungen, Korruption und Umweltverschmutzung werden häufig von lokal betroffenen Gruppen, NGOs, kritischen Journalist*innen und Politiker*innen aufgedeckt, die dann mit Reaktionen und Repressionen des Staates oder der Privatwirtschaft umgehen müssen. Gut dokumentiert sind diese Missstände zum Beispiel im "Environmental Justice Atlas", der weltweite Verstöße gegen Umweltauflagen und Menschenrechte zusammengetragen hat.3
Süchtig nach neuem Stoff
In den meisten Fällen bestehen direkte oder indirekte Verbindungen zwischen den rohstoffabbauenden und -fördernden Ländern im Globalen Süden und den besonders ressourcenbedürftigen Ländern des Globalen Nordens., Die Verbindungen erstrecken sich über die Finanzierung, Projektträgerschaften, Lieferketten, die Beteiligung an Logistik und Durchführung sowie durch den Export von Maschinen, Equipment und Know-how. Deutschland als Industrieland hat selbst keine eigenen, global bedeutenden Auslandsbergbaugesellschaften mehr. Trotz einer zu nahezu 100 prozentigen Abhängigkeit von Primärmetallimporten, rufen die deutsche Politik und Wirtschaft wie Drogensüchtige im Gleichklang immer wieder nach neuem Stoff bzw. nach einem erleichterten Zugang zu den Rohstoffen dieser Welt. Diese Rohstoffe kommen über eine – zum Teil weitverzweigte – Lieferkette als Erze, Barren, Stäbe oder als anders verarbeitete Produkte nach Deutschland. Zwar unterliegen diese Lieferketten laut UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und OECD-Standards einer Sorgfaltspflicht für Unternehmen, die die Einhaltung der Menschenrechte oder der ILO-Normen voraussetzt, doch diese „Pflicht“ ist bisher nicht wirklich in Form von Gesetzen und sanktionierbaren Regeln festgeschrieben.
Menschenrechtsverletzungen „Made in Germany“
Ein Beispiel dafür ist das Massaker von Marikana im August 2012, bei dem 34 streikende Bergarbeiter ermordet wurden. Der Streik wurde ausgelöst, da sich der südafrikanisch-britische Platinkonzern Lonmin weigerte mit den Streikenden direkt zu verhandeln. Die Gründe für den Streik waren Forderungen nach höheren Löhnen und die vertraglich zugesicherte Errichtung von Wohnhäusern. Der Streik wurde blutig von der südafrikanischen Polizei und Sicherheitskräften des Konzerns niedergeschlagen. Einer der beiden Hauptabnehmer des Platins ist der deutsche Konzern BASF, der daraus unter anderem Katalysatoren für Autos herstellt. BASF weist eine Verantwortung von sich, obwohl sie jahrelang vom Lohndumping und der Einsparung der Baukosten für die Wohnhäuser durch niedrige Platinpreise profitierte.4 Die Hinterbliebenen fordern nun eine Entschädigung, an der sich auch BASF beteiligen solle. Während BASF versucht durch Audits und eine eigene Projektwebsite Schadensbegrenzung zu betreiben, gibt es von der Automobilkonzernen wie Volkswagen bisher überhaupt keine Reaktion.
Das Marikana-Beispiel zeigt eine relativ kurze Lieferkette. Häufig sind Rohstofflieferketten komplexer und können nicht bis zum Endprodukt zurückverfolgt werden. Eine Studie vom philippinenbüro und PowerShift, in Zusammenarbeit mit dem philippinischen Netzwerk Alyansa Tigil Mina (Allianz Gegen Bergbau), scheiterte daran, den Nickelabbau mit deutschen Stahlproduzenten in Verbindung zu bringen. Dabei sind die Philippinen einer der größten Produzenten und Deutschland einer der größten Konsumenten von Nickel. Inwieweit zum Beispiel von der Salzgitter AG, Deutschland drittgrößtem Stahlproduzenten, der Stahlveredler Nickel eingesetzt wird und dieses Nickel aus den Philippinen kommt, ist nicht nachweisbar. So ist es auch schwer, Stahlhersteller in Deutschland für das Thema von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in den Philippinen zu sensibilisieren.5 Hier ist die Politik aufgefordert zu reagieren, doch diese hat zum Beispiel beim Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte eine gesetzliche Verankerung von Sorgfaltspflichten auf Druck der Industrie verweigert.
Welche Rohstoffe für welche Zukunft?
Statt sich für die Einhaltung der Menschenrechte bei der Rohstoffgewinnung einzusetzen, steht vor allem die Versorgungssicherheit der deutschen Industrie im Zentrum der Politik. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert Handelsinstrumente und weitere Unterstützung von der Politik, der Koalitionsvertrag von 2018 verspricht dies.6 Diese Rohstoffe werden, wie eine Studie der Deutschen Rohstoffagentur verdeutlicht7, für eine Energie- und Mobilitätswende, für Industrie 4.0, Zukunftstechnologien oder die Digitalisierung der Gesellschaft benötigt. Während wir aufgrund der Klimakrise und des drohenden Kollaps des Planeten rasch aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe für Elektrizität, Wärme und Verkehr aussteigen müssen, es aber kaum Bestrebungen für Reduzierung und Suffizienz gibt, bedeutet das im Umkehrschluss, dass Rohstoffe wie Kupfer, Stahl (Windkraftanlagen), Lithium, Kobalt, Graphit (alle für Batterietechnologien, u.a. für die Elektro-Individual-Mobilität) oder Aluminium bzw. Bauxit (Leichtbaufahrzeuge) in Zukunft verstärkt benötigt werden.
Michael Reckordt arbeitet seit vielen Jahren zu den Auswirkungen des Rohstoffabbaus. Seit 2013 ist er bei PowerShift als Koordinator des bundesweiten Netzwerks AK Rohstoffe angestellt. Der AK Rohstoffe vereinigt Entwicklungs-, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen und setzt sich für eine faire und gerechte Rohstoffpolitik ein.
PowerShift e.V., Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin; 030 42805479 – Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Quellen:
[1] UNEP: From Conflict to Peacebuilding. The Role of Natural Resources and the Environment, Nairobi 2009.
[2] Global Witness: Defenders of the Earth – Global killings of land and environmental defenders in 2016, London 2017. Online verfügbar.
[3] Ejolt: Environmental Justice Atlas, 2017, unter: http://ejatlas.org/.
[4] Khulumani Support Group et. Al.: Plough back the fruits – the struggle for jus-tice and restitution – The bodymaps of the widows of Marikana, Hamburg/Johannesburg/Wien, 2016
[5] Müller, Melanie und Michael Reckordt: Ohne Verantwortung und Transparenz – Menschenrechtliche Risiken entlang der Nickellieferkette; Berlin, 2017
[6] BDI: Rohstoffversorgung 4.0, Berlin, 2017; CDU/CSU und SPD: Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dynamik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2018
[7] Dera: Rohstoffinformationen – Rohstoffe für Zukunftstechnologien 2016, Berlin, 2016. Online verfügbar