Dr. Viola Gerlach ist Expertin für Nachhaltigkeit und Transformationsprozesse. Wir sprachen über die Rolle und den Zusammenhang von individueller Potentialentfaltung und strategischer Neuausrichtung bei Unternehmen im Rahmen von Transformationsprozessen.  Wir legten außerdem ein Augenmerk auf Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit von Akteuren aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft mit Blick auf die Frage, wie Wirksamkeit in Transformationsprozessen gemeinsam gestaltet werden kann. Und am Beispiel des Autos machen wir deutlich, wie wichtig es ist, zu wissen was man wirklich will.

 

Welche Transformationsprozesse müssen angestoßen werden, damit sich das Verhältnis von Angestellten zur Unternehmensleitung verbessert und die Kommunikation gestärkt wird?

Wir befinden uns mitten in einem herausfordernden und gleichzeitig spannenden Transformationsprozess der Rahmenbedingungen, die Unternehmen für zukünftige Herausforderungen schon heute entwickeln. Gerade in Großkonzernen wird aktuell noch häufig eine Führungskultur gelebt, die stark auf einem hierarchischen Organisationsaufbau basiert. Der Chef oder die Chefin sagt dort den Mitarbeiter*innen was zu tun ist und kontrolliert die Umsetzung. Das Problem: Die neuen jungen Mitarbeiter*innen, die sich mit Engagement und Begeisterung an ihren Job machen, und gleichzeitig die gesellschaftlichen Herausforderungen im Blick haben, verlieren ihre positive Energie, wenn sie keinen eigenen Gestaltungsspielraum haben, die ihren Werten und Ideen entsprechen. Der ehemalige Erfolgsmechanismus, bei dem es ausschließlich um Profitsteigerung, Einhaltung von Prozessen und Kundennutzen geht – gilt heute immer weniger. Vielmehr geht es immer mehr um die Stärkung von Eigenverantwortung und Zusammenarbeit im Team und Rahmenbedingungen, die diese ermöglichen und stärken. So entstehen neben Innovationen auch Teilhabe an der Weiterentwicklung und dem Erfolg des Unternehmens. In der aktuellen Literatur gibt es sehr wertvolle Ansätze wie Mitarbeiter*innen ihre Ideen zum Wohl des Unternehmens einsetzen können, und dabei gleichzeitig am Erfolg beteiligt werden. Sinnhaftigkeit und Teilhabe werden in Zukunft zu einem der zentralen Wettbewerbsfaktoren für ein Unternehmen.

Also ist die Macht eigentlich bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, da sie entscheiden, ob sie im Unternehmen bleiben?

Der Ursprung allen unternehmerischen Erfolges entsteht langfristig immer aus der Mitarbeiterschaft heraus. Je zufriedener ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin ist, weil sie das was er oder sie tut, nicht nur sehr gut kann, sondern es auch der jeweiligen Persönlichkeit entspricht, die organisatorischen Rahmenbedingungen konstruktiv sind und die Ergebnisse der Arbeit auch als wert- und sinnvoll bewertet werden, desto positiver wirkt sich das auf den Unternehmenserfolg aus. Aktuell tun sich viele Unternehmen schwer, in der nachkommenden Generation eigenmotivierte Mitarbeiter*innen zu finden – und vor allem auch zu halten. Hier sehen wir eindeutig, dass eine neue Generation mit klaren Wertvorstellungen beginnt, sich ihren Platz in der Arbeitswelt zu suchen. Es zeigt sich bereits der Wettbewerbsvorteil, den Unternehmer haben, die in ihrem Unternehmen die Eigenverantwortung der Mitarbeiter stärken – und Ressourcenschutz zu einem Selbstverständnis der Unternehmensphilosophie machen. Ein schönes Beispiel ist das Unternehmen Patagonia, dessen Gründer Yvon Chouinard sehr erfolgreich auf Eigeninitiative der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen setzt.

Kann die Politik Unternehmen vorschreiben, ihre Angestellten in wertschätzender Kommunikation zu schulen und somit Selbstvertrauen und Wohlbefinden zu steigern, ohne die freie Marktwirtschaft zu gefährden?

Letztendlich ist entscheidend, wie authentisch Wertschätzung kommuniziert wird, damit sie auch wirklich angenommen werden kann. Ein aktuelles Interview mit Gerald Hüther macht sehr schön deutlich, warum Kontrolle nicht der richtige Weg sein kann um mit schwierigen oder risikobehafteten Herausforderungen umzugehen. Noch viel wichtiger ist, eine neue Sicht auf Leistungsfähigkeit und ein neues und wertvolles Verständnis von Wettbewerb zu etablieren. Die Schlussfolgerung – ich muss andere unter Druck setzen, damit sie erfolgreich sind, ist absolut nicht zeitgemäß. Es muss gelingen im Unternehmen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit dort gerne Leistung erbracht wird.

Mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit: Darf die Regierung bestimmte Produkte in Deutschland verbieten, ohne die Demokratie zu gefährden?

Demokratie hängt eng zusammen mit dem Aspekt des freien Wettbewerbs der eine freie Marktwirtschaft ausmacht. Ein Produkt zu verbieten, schränkt den Wettbewerb und die Entscheidungsfreiheit ein und muss demokratisch legitimiert sein. Aus meiner Sicht muss die Entscheidungskompetenz gestärkt werden, so dass nicht nur der Blick auf das Preisschild, sondern auch die eigenen Werte in ihrer Auswirkung zu tragen kommen. Verbraucherverhalten ist jedoch auch mit Zielkonflikten behaftet. Noch immer geben viele Verbraucher*innen in Umfragen an, dass Nachhaltigkeit ein wichtiges Entscheidungskriterium ist – entscheiden dann jedoch im konkreten Fall gegenteilig. Auch hier ist es wichtig, schon im Kindergarten und der Schule über Konsum und deren Auswirkungen Transparenz zu schaffen und damit Entscheidungskompetenzen zu stärken.

Muss die Initiative der Änderung vom Individuum oder von der Wirtschaft kommen?

Wir dürfen nicht in der Entweder Oder-Diskussion hängen bleiben. Sowohl die Wirtschaft als auch jedes Individuum kann etwas bewirken. Interessant ist, dass sich immer mehr neue Formen der Wirtschaft erfolgreich etablieren, bei denen sich Konsumenten und Produzenten gemeinsam zusammentun und zu Prosumenten werden. Ausgang fand diese Entwicklung bei der sogenannten Solidarischen Landwirtschaft. Dort werden durch den Zusammenschluss privater Haushalte die Betriebskosten des Unternehmens finanziert – die Kunden erhalten im Gegenzug die Produkte. Dieses Prinzip der gegenseitigen Verantwortung findet auch in anderen Lebensbereichen wie Gesundheitszentren, Schneiderein, Brauereien und Radwerkstädten und natürlich bei der Energiebereitstellung immer mehr Zuspruch. Es stärkt den Zusammenhalt, den Bezug zum Produkt und schafft unternehmerische Sicherheit.

Wie kann man erreichen, dass Einfluss und Macht eines Unternehmens durch Nachhaltigkeit festgelegt wird?

Je mehr die Nachfrage auf nachhaltige Produkte steigt desto mehr Unternehmen werden auf Nachhaltigkeit setzen. Unternehmen werden in Zukunft vermutlich noch transparenter machen, welche zukünftigen Strategien sie verfolgen und welche Rolle sie z.B. bei der Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs) spielen. Kritische Verbraucher und Verbraucherinnen werden immer genauer nachfragen: Wie möchte zum Beispiel ein Autokonzern E-Mobilität bestmöglich umzusetzen? Wieviel CO2-Emissionen stößt die Produktion aus, woher bekommen sie ihre Produkte wie zum Beispiel die Batteriezellen, welche Rolle spielt in der Unternehmensstrategie Recycling und wie steht es zur Kreislaufwirtschaft? Ein auf zukünftig langfristigen Erfolg ausgerichtetes Unternehmen muss Nachhaltigkeit und wirtschaftlichen Erfolg kombinieren können.

Ist die Politik in dieser Veränderung überhaupt wichtig?

Die Politik gibt Rahmenbedingungen vor damit dieser Transformationsprozess gelingt. Die Kommunikation und vor allem das gemeinsame Entwickeln tragfähiger Innovationen zwischen Entscheider*innen aus Unternehmen, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik wird sich auf ein neues Level heben müssen, wenn sie den Komplexitäten, Unsicherheiten und Zielkonflikten aktueller Entwicklungen gerecht werden will. Denn unterschiedliche Perspektiven auf einen Sachverhalt werden noch zu oft umgangen, anstatt sie zu nutzen, um dann gemeinsam eine bessere Lösung zu erarbeiten, als sie jeder alleine hätte treffen können.

Wir hatten vorhin darüber gesprochen, wie Erziehung die eigene Arbeitsweise beeinflusst. Wie sieht es mit dem Einfluss meiner Erziehung bezüglich meiner Denkweise gegenüber dem Auto aus?

Unser soziales Umfeld ist vor allem in jungen Jahren eine wichtige Bezugsgröße für unsere Orientierung. Wenn ich in einem klassischen Umfeld aufwachse, in dem das Auto Statussymbol für Einfluss, Geld und Erfolg ist, dann ist es naheliegend diese Wertevorstellung zu übernehmen.  Erst wenn wir älter werden, beginnen wir, eigene Wertevorstellungen zu entwickeln und uns mit Gleichgesinnten zu umgeben – die diese neuen Wertvorstellungen stärken. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass vor allem jungen Menschen Rahmenbedingungen zur Reflexion über diesen Prozess der eigenen Wertentwicklung gegeben werden. Wer unterschiedliche Argumentationspunkte und auch Widersprüche im Prozess der Entwicklung der eigenen Werte kennen lernt, wird darin gestärkt mit Komplexitäten und auch Zielkonflikten umzugehen und dabei seine eigene Position argumentativ gut vertreten zu können.

Wie stark muss der Einfluss durch die Schule sein, damit ich Wertevorstellungen überdenke?

Es ist wichtig sich der eigenen Wertevorstellungen bewusstzuwerden und zu verstehen, dass diese Wertevorstellungen von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind und sich auch im Laufe des Lebens nochmal weiterentwickeln. Schule kann einen Rahmen bieten, um darüber zu diskutieren: Was ist mir wichtig? Wie kann ich das was mir wichtig ist erreichen? Wieviel Lebenszeit setze ich für was ein – sprich: Was hat wirklich Priorität und Bedeutung? Die Gefahr, dass wir uns Ersatzbefriedigungen für tiefer liegende Bedürfnisse suchen ist groß, solange wir nicht wissen, was wirklich wichtig für uns ist. Ein Auto, das man besitzt, und lange dafür arbeitet, um es sich überhaupt leisten zu können, um dann Menschen zu beeindrucken die keine echte Bedeutung für einen haben, das ist pure Verschwendung von Lebenszeit. Wer jedoch differenzieren kann zwischen der Begeisterung für ein großartiges Auto und der Sehnsucht nach Zugehörigkeit ist viel unabhängiger von äußerem Druck und kann dann auch viel klarer sagen: Ich kaufe ein Auto, weil es MIR wichtig ist und ich habe unabhängig davon ein Umfeld das wirklich zu mir passt - in dem ich echte Nähe leben kann völlig unabhängig von meinem materiellen Besitz und ich meine Lebenszeit für die Erschaffung von Rahmenbedingungen verwende, die wirklich zu mir passen.

Wenn ich mir meinen Werten bewusst bin, wie weiß ich, dass es meine eigenen Wertevorstellungen sind?

Oft hilft es, sich über andere Optionen Gedanken zu machen, und zu reflektieren: Warum nutze ich nicht diese Optionen? War meine Bewertungsgrundlage wirklich meine, oder habe ich automatisch etwas übernommen, das mein Umfeld für richtig hält? Entscheidungen sind immer auch ein Ausdruck einer aktuellen persönlichen Situation. Wir dürfen anerkennen, dass es ok ist, eine Entscheidung zu überdenken - und dann neu zu entscheiden. Entscheidungen als Prozess der eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu verstehen hilft den Druck rauszunehmen, immer alles sofort optimal entscheiden zu müssen.

Logo WBE Symbol web

eine-welt-promotoren-button

 

30 Jahre Button