Michael Reckordt arbeitet seit Mai 2013 bei PowerShift . Er setzt sich für eine Rohstoffwende ein. Sein Fokus liegt auf der deutschen Rohstoffpolitik und den Abbaubedingungen von metallischen und mineralischen Rohstoffen weltweit. Der Fokus dieses Gesprächs liegt auf Lithium, Kobalt und Nickel, da sie die wichtigsten Rohstoffe in den aktuell genutzten Industriebatterien des E-Autos sind. Insbesondere Lithium rückt durch die vermehrte Nutzung der Lithium-Ionen-Batterie immer weiter in den Fokus. Diese Rohstoffe werden mit Erdöl verglichen, da dies die wichtigste Quelle der Treibstoffe für Verbrennungsmotoren ist.

 

Kann man die Gewinnung der Rohstoffe für eine Industriebatterie mit der Gewinnung von Erdöl vergleichen? Existieren dazu Zahlen?

Wie viele CO2-Emissionen anfallen und wieviel Wasser verbraucht wird, hängt von der Art des Lithiumabbaus ab. In Bolivien gewinnt man das Lithium aus Salzseen.  In Australien, Spanien und Portugal wird oder soll es  aus dem Gestein gewonnen werden. Auch in Sachsen gibt es ein großes Lithiumvorkommen im Gestein. Mit dem Abbau von Erdöl kann man die  Emissionen schwer vergleichen. Der Bergbau selbst ist in der Regel nicht so CO2-intensiv, aber die Weiterverarbeitung. Fakt ist jedoch, dass jede Art von Rohstoffabbau ein Eingriff in die Natur ist, der negative Folgen für Natur und Sozial- und Menschenrechte hat. Das gilt auch für Erdöl, wie uns die regelmäßigen Öl-Katastrophen immer wieder zeigen.

 

Erdöl muss raffiniert werden, um es als Brennstoff für Autos nutzen zu können. Wie sieht es bei der Weiterverarbeitung von Lithium aus?

Das Lithium wird in Zellen, dem Innenleben der Batterie, eingesetzt. Mehr über den Zellaufbau erfahrt ihr in dem Interview mit Dr. Astrid Arnberger. Die Zellfertigung der Batterien ist sehr energieintensiv. Auch die Produktion der Kathode und des Gehäuses brauchen große Mengen Energie. Inwieweit Lithium weiterverarbeitet werden muss, kommt darauf an, ob es aus Salzseen oder Gestein gewonnen wird. Der Bergbau selbst ist nicht so energieintensiv. Bei der Gewinnung aus Salzseen ist eher der Wasserverbrauch sehr umstritten. Wenn das Lithium aus der Salzsole, die Salz-Wasser-Lösung, gewonnen wird, wird dabei viel Wasser mitgefördert. Dieses Wasser muss austrocknen, damit eine lithiumhaltige Masse zurückbleibt, mit der man weiterarbeiten kann.

 

Haben denn Lithium, Kobalt und Nickel das Potential, klimaneutraler weiterverarbeitet zu werden?

Es gibt sowohl Möglichkeiten die Prozesse der Weiterverarbeitung zu optimieren, als auch den Abbau selbst. Bergbaukonzerne weltweit planen, klimaneutraler zu produzieren. Sie möchten zum Beispiel erneuerbare Energien im Bereich des Bergbaus nutzen. Bei der Nutzung erneuerbarer Energien muss man wissen, ob es überschüssige Energien sind oder ob diese Energien an anderer Stelle fehlen. Aber prinzipiell möchte man sehr schnell die Produktionsprozesse auf regenerative Energien und Nachhaltigkeit umstellen. Wichtiger ist aber, dass die Zellfertigung und die Batterieproduktion an sich umweltfreundlicher gestaltet werden, da dort wesentlich mehr Energie verbraucht wird.

 

Gibt es auch eine umweltfreundliche Variante, Erdöl zu gewinnen? Haben wir uns nur mit der leichtesten und profitreichsten Variante genügt?

Bei Erdöl würde ich das verneinen. Die Katastrophen im Golf von Mexiko, im Nigerdelta und im Regenwald von Ecuador zeigen: Wo Erdölkonzerne agieren, gibt es immer wieder Umweltkatastrophen und damit verbunden die Verletzung von Menschenrechten. Selbst in den USA oder Kanada gibt es Leckagen in den Pipelines, die dann dafür sorgen, dass lokal Trinkwasser und Böden vergiftet werden. Wir sehen auch eine hohe Schadstoffbelastung an den Orten, an denen Erdöl verarbeitet oder gelagert wird. Zudem verbrennen wir das Erdöl, wodurch Kreislaufprozesse – im Gegensatz zur Batterie – nicht möglich sind. Das heißt Erdöl ist per se nicht ökologisch machbar und die Nutzung feuert die Klimakrise weiter an. Und Alternativen wie zum Beispiel Palmöl aus Indonesien als Treibstoff zu benutzen, ist auch nicht nachhaltig, weil wir einen viel zu großen Flächenverbrauch hätten.

 

Gibt es die gleichen Risiken für Umweltkatastrophen bei Lithium oder Nickel, wie es bei Erdöl der Fall ist?

Bei Lithium sticht der immense Wasserverbrauch in häufig eh schon sehr trockenen Regionen hervor. Bei allen Rohstoffen, bei denen keine ökologischen Standards eingehalten werden, sind oft Vergiftung der umliegenden Gewässer und Böden die Folge. Bei jedem Rohstoffabbau ist es daher wichtig, den ökologischen Einfluss zu beachten und den Abbau sicherer für Mensch und Umwelt zu gestalten. Das Umweltbundesamt hat eine gute Übersicht über 50 Rohstoffe hinsichtlich der Umweltgefährdungspotentiale ihrer bergbaulichen Gewinnung veröffentlicht (UBA 2020).

 

Warum wird bei der Lithiumgewinnung so viel Wasser verbraucht?

Es kommt vor allem auf die Abbauart an. Wenn Lithium im Gestein abgebaut wird, wie in Australien, ist der Wasserverbrauch weniger bedeutsam, als wenn Lithium aus den Salzseen Boliviens, Chiles und Argentiniens gewonnen wird. Die Debatte um den Wasserverbrauch kommt daher auch aus Lateinamerika. Zur Gewinnung von Lithium aus Salzseen wird das lithiumhaltige Seewasser in benachbarte Becken gepumpt. Dort verdunstet es, und eine lithiumhaltige Masse bleibt zurück. Das entnommene Seewasser wird durch nachfließendes Grundwasser ersetzt, wodurch die umliegenden Regionen wiederum Gefahr laufen, auszutrocknen und unfruchtbare Böden zu hinterlassen.

 

Bei Lithium haben wir das Potential, den Rohstoff zu recyceln. Dies ist bei Erdöl nicht gegeben; es muss immer abgebaut werden.

Das Recyclingsystem ermöglicht es, Rohstoffe wie Lithium wieder zu verwenden. Leider sind die technologischen Möglichkeiten beim Recycling von Kobalt und Nickel meines Wissens schon weiter, als bei Lithium. Dennoch ist die EU-Kommission gerade dabei im Rahmen ihrer Batterie-Regulierung Vorgaben für Recyclingquoten sowie den Einsatz von Rezyklaten für die Batterierohstoffe zu verfassen.

Im Moment liegt der Betrag vom recycelten Lithium unter einem Prozent. Erst, wenn mehr Lithium in den Produktionszyklus zurückkommt, können wir anfangen, daran zu arbeiten, den Kreislauf zu schließen. Da Lithium bisher noch in der Nutzungsphase ist, werden wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren massiv auf Bergbau angewiesen sein, wenn die E-Mobilität in dem Maße gefördert wird, wie von der Regierung geplant. Daher fordern wir eine Mobilitätswende, die die Anzahl der Autos maßgeblich reduziert, da wir nicht überall wo Lithium ist dieses auch gewinnen können.

Außerdem gibt es im Rohstoffbereich gerade sehr viele Debatten über Sorgfaltspflichten und Regeln zur Einhaltung von Menschenrechten. Die Unternehmen, die die Rohstoffe nutzen, z.B. ein Automobilproduzent, müssen die gesamte Lieferkette bis runter zur Mine auf Risiken in der Produktion überprüfen und etwaige erkannte Risiken minimieren bzw. beseitigen.

Die Initiative for Responsible Mineralings Assurance (IRMA), plant nach bestmöglichen Standards,  einzelne Minen zu zertifizieren. Das ist potentiell auch für Lithiumminen möglich. Wir werden in Zukunft also ein Set an menschenrechtlichen und ökologischen Standards haben, die Unternehmen erfüllen müssen. Ein Punkt dieser Standards wird auch sein, wie viel Wasser verbraucht wird, wer welche Wassernutzungsrechte hat und wie man Wasserkonflikten begegnet. Dies ermöglicht es, Rohstoffe sozialer und umweltfreundlicher abzubauen. Ein Beispiel solcher Debatten ist das deutsche Lieferkettengesetz.

 

Liegt die Verantwortung bei den Ländern, in denen abgebaut wird oder bei den Industrieländern, die die Rohstoffe am Ende auch abnehmen?

Das ist eine geteilte Verantwortung. Auf den Philippinen gibt es zum Beispiel sehr gute Gesetze, aber sie werden nicht umgesetzt und Verfehlungen nicht sanktioniert. Da macht die philippinische Zivilgesellschaft Druck und die philippinische Regierung muss reagieren. Die Industriestaaten haben unter anderem die Verantwortung, auf Rohstoffgerechtigkeit und einen global gerechten Verbrauch zu achten. Da der Verbrauch der Industrieländer aber weit über dem Maß liegt, ist eine Rohstoffwende erforderlich, die auch die absolute Reduktion des Verbrauchs ins Zentrum setzt. Zudem müssen wir als Verbraucher*innen von der Politik erwarten können, keine Produkte kaufen zu können, die woanders Menschenrechte verletzen. Die EU-Kommission macht das gerade mit einer Batterieregulierung, bei der sie definiert, in wieweit Batterien kreislauffähig sein müssen und welche Standards es für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten braucht. Da müssen auch ökologische Sorgfaltsplichten mit aufgenommen werden, um die Situationen in den Minen und Drumherum zu verbessern. Es ist daher auch die Verantwortung des Automobilherstellers, sicher zu stellen, dass die Bergbaukonzerne, von denen sie die Rohstoffe beziehen, keine Menschenrechte verletzen und die Umwelt so gut wie möglich schützen.

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft- und Menschenrechte definieren klar die Verantwortung  von Staaten und Unternehmen, die Rohstoffe nutzen.

 

Halten sich denn alle Staaten und Unternehmen daran?

Die Umsetzung der UN-Leitprinzipien ist in Deutschland in dem nationalen Aktionsplan aufgenommen worden. Im Koalitionsvertrag steht, dass ein Lieferkettengesetz entworfen wird, wenn sich ein gewisser Prozentsatz der Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten halten. Da befinden wir uns gerade. Mehrere Ministerien, darunter das Arbeitsministerium, setzen sich für ein Lieferkettengesetz ein. Das Wirtschaftsministerium, was auch für die Fehlerführung der Rohstoffpolitik verantwortlich ist, blockiert dieses Lieferkettengesetz massiv.

Es gibt Unternehmen, die vermehrt ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen. Dazu gehören auch die Automobilproduzenten wie VW, Daimler und BMW. Alle drei fordern mittlerweile, dass es einen gesetzlichen Rahmen braucht, der klar definiert, was genau unter Sorgfaltspflicht erwartet wird, da dies auch ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinflusst. Wenn sich manche Unternehmen an die Sorgfaltspflichten halten, andere wiederum aber nicht, gibt es eine Chancenungleichheit. Gleichzeitig hat PowerShift mit INKOTA in einer Studie nachgewiesen, dass es für Außenstehende fast unmöglich ist zu bewerten, inwieweit die Konzerne ihren Sorgfaltspflichten nachkommen. Wir sehen da große Lücken im Handeln und in der Berichterstattung (PowerShift 2020)

 

Manche Artikel reden von einer Rohstoffknappheit, wenn die Nachfrage an E-Autos steigt und andere nur von einem zeitlich begrenzten Engpass dieser Rohstoffe.

Man muss zwischen einer politisch-ökologischen Perspektive und einer geologischen Perspektive differenzieren.

Geologisch gesehen, gibt es keine Knappheit bei Rohstoffen. Ein Beispiel ist Platin, was wir als Katalysator für den Auspuff fossilbetriebener Autos nutzen. Mit jeder Fahrt verstäuben wir ein bisschen des Platins auf unseren Straßen. Physikalisch ist es immer noch da, für die Menschheit aber nicht zurückgewinnbar. Viele Orte gerade auf dem afrikanischen Kontinent oder in Zentralasien aber auch im Lateinamerikanischen Regenwald sind geologisch fast unentdeckt. Es kann also sein, dass dort noch ganz große Rohstoffvorkommen sind. Somit steigen die Reserven immer weiter, weil wir über immer mehr Vorkommen Bescheid wissen. Aus geologischer Sicht gibt es deshalb nicht die Befürchtung auf Rohstoffknappheit.

Bei der der ökologischen Perspektive müssen wir uns erst die Fragen stellen, an welchen Stellen wir Rohstoffe ausgraben wollen und welche Stellen einen ganz anderen Wert für uns haben. Einen Biodiversitätshotspot im Regenwald oder in Küstennähe wollen wir bergbaulich nicht umgraben, da wir dann die Biodiversität verlieren.

Eine politische Knappheit ist durchaus möglich. Bei der E-Mobilität und bei der Batterien-Technologie sind wir nun massiv auf Rohstoffe wie Lithium und Kobalt angewiesen. Diese zwei Rohstoffe haben wir bisher noch nicht viel benötigt. Die Minen für diese Rohstoffe sind also relativ klein. Um eine neue Mine eröffnen zu können und Rohstoffe daraus zu gewinnen, werden aber fünfzehn bis zwanzig Jahre vergehen, da Erkundung, Probebohrungen und Finanzierung der Mine bis hin zum Gewinn des Rohstoffes Zeit brauchen. Durch die massive Nachfrage und die mangelnden Bergbaukapazitäten von Lithium, Nickel und Kobalt werden die Preise steigen. Dies kann auch zu einer Veränderung der Technologien führen, da nach immer effizienteren Formaten geforscht wird. Schon jetzt wird überlegt, mit anderen Rohstoffen Batterien herzustellen, bei denen wir Lithium, Kobalt und Nickel nicht mehr benötigen. So verändern sich Angebot, Nachfrage und auch Knappheit.

 

Zeitlich begrenzter Engpass: Von welcher Zeit reden wir hier und hat es irgendwelche Auswirkungen auf die Produktion von E-Autos?

In Bolivien steht man in den Startlöchern, in Sachsen gibt es Erkundungen, in Portugal und Spanien gibt es Pläne, Lithiumminen zu eröffnen und auch in Australien sind die Kapazitäten noch nicht am Ende. Mit der steigenden Nachfrage und den steigenden Preisen, werden neue Minen öffnen. In wieweit das zu zeitlichen Verzögerungen kommt und wie lange diese zeitliche Knappheit anhalten wird, ist sehr schwer zu prognostizieren. Die Dauer einer solchen Knappheit hängt auch davon ab, wie sich die Verkehrspolitik in Europa und die Batterien-Technologie entwickelt.

Gleichzeitig wird man aber auch sehr schnell auf die Knappheit reagieren und die Produktion von Lithium hochfahren. Trotzdem werden die steigenden Preise von Lithium die Kreislaufwirtschaft und das Recycling von Lithium sehr viel lukrativer machen.

Wir beobachten gerade aber auch ein ziemliches Einschlagen auf die ökologischen Folgen der E-Mobilität. Dabei muss man sagen, dass die fossile Mobilität mindestens genauso katastrophal ist. Die Art der Mobilität ist das Problem und nicht die E-Mobilität alleine.

 

Wie sähe eine von Ihnen gestaltete Zukunft des Autos aus?

Wir brauchen eine Rohstoffwende, eine Mobilitätswende und eine Energiewende. Wir müssen viel weniger primäre Rohstoffe verbrauchen und mehr auf die Kreislaufführung setzen. Die Rohstoffe, die wir in Zukunft noch verbrauchen, müssen unter ökologisch und sozial bestmöglichen Bedingungen abgebaut werden.

Wenn wir den Verbrauch von metallischen Rohstoffen senken wollen, müssen wir an den Stellen ansetzen, bei denen am meisten verbraucht wird. In Deutschland ist einer der Hauptverbraucher die Automobilindustrie und der Verkehrssektor.  Deswegen ist eine Mobilitätswende notwendig, die Mobilität ganz anders denkt. Die Automobilität muss kleinere und leichtere Autos herstellen. Welche Art von Sharingsystemen gibt es, in wieweit ist autonomes Fahren in Zukunft möglich. Taxen, Krankenwagen, Feuerwehr und weitere Berufe, die ein Fahrzeug benötigen, müssen auf E-Mobilität basieren. Der ÖPNV muss ausgebaut und an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden.

Die Vorteile einer solchen Mobilitätswende müssen verdeutlicht werden. Es muss Angebote geben, die die Menschen dazu ermuntern, stärker ihr Fahrrad nutzen. Aus klimapolitischer Sicht müssen wir aus dem Fossilen schnellst möglich raus. Man müsste ein Kaufverbot oder Neuzulassungsverbot für Verbrenner ab 2025 einführen. Über die Alternativen muss nachgedacht werden. Solch eine Denkweise ist viel größer, als die Frage nach E-Mobilität oder fossile Mobilität. Wir müssen städtisches und dörfliches Zusammenleben neu denken. Was ist uns wichtig, warum brauchen wir Autos und wie kriegen wir die Zahl der Autos reduziert? Eine Eins-zu-Eins Umwandlung von fossiler Mobilität zu E-Mobilität kann nicht die Lösung sein.

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